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"Weil Gott es so will"

Frauen erzählen
von ihrer Berufung zur Diakonin und Priesterin

Die Herausgeberin Sr. Philippa Ratau sandte am 26. April 2020 die nachfolgende Anfrage per E-Mail an zwölf Frauen. Bis Pfingsten, d. h. innerhalb von fünf Wochen, erreichten sie 150 Lebens- und Berufungszeugnisse.
Sehr viele Frauen hätten gerne auch später noch – nach Redaktionsschluss – ihre Texte eingebracht. Die Anzahl hätte sich beliebig vergrößern lassen.
Text der Mail:

"Liebe engagierte Frauen,
denen wie mir das Thema Geschlechtergerechtigkeit
in der Kirche am Herzen liegt!

Hiermit komme ich mit folgendem Anliegen auf Sie zu und möchte Sie um Ihre Mithilfe bitten. Hintergrund: Ich bin Delegierte beim Synodalen Weg und wurde als solche in das Forum „Frauen in Diensten und Ämtern der Kirche“ gewählt. Nun arbeite ich mit in einer Untergruppe, die sich mit der theologischen Argumentation im Blick auf die Teilhabe von Frauen am sakramentalen Ordo – Diakonat und weitere Ämter – befasst. Wichtige Stichworte sind in diesem Zusammenhang: neue Ämterstruktur – diakonische Kirche und diakonische Ämter sui generis – die pneumatologische Dimension der Kirche – charismenorientierte Zugänge zu Ämtern und Diensten u. v. m.

Ganz wichtig ist mir und anderen in diesem Zusammenhang das Thema Berufung. Deshalb bin ich auf der Suche nach persönlichen Lebenszeugnissen von Frauen, die sich in Vergangenheit und Gegenwart zum Diakoninnen- und zum Priesterinnenamt berufen fühlten und fühlen und ihre Berufung aus bekannten Gründen nicht leben konnten und können.

Wären Sie wohl selber bereit, auf maximal einer Seite Ihre Berufungsgeschichte zu schildern und auch darüber zu berichten, für welche Alternative Sie sich dann warum entschieden haben? Auch darüber vielleicht, was die unerfüllte Sehnsucht in Ihnen bewirkt hat und vielleicht immer noch an Spuren in Ihnen hinterlässt? Und/oder würden Sie meine Mail an interessierte Frauen weitergeben?

Mein Ziel ist es dabei zunächst einmal, der „Männerkirche“, aber auch vielen Frauen, die das Thema „gleicher Zugang für alle zu Diensten und Ämtern der Kirche“ immer noch als „Machthunger aufmüpfiger Frauen“ diffamieren, vor Augen zu führen, welches Potential an Berufungen, an Geistkraft und an Charismen der Kirche und den Gläubigen über viele Jahrhunderte vorenthalten wurde und immer noch wird. Ich möchte zum Nachdenken anregen, ja, auch Erschütterung auslösen und ein Bewusstsein dafür erzeugen, wie überfällig eine Kursänderung und Erneuerung in dieser Frage ist.

Ich freue mich sehr, wenn Sie mitmachen. Gerne auch anonym, wenn Ihnen dies notwendig erscheint. Diskretion von meiner Seite sage ich Ihnen hier selbstverständlich zu.

Ihre Sr. Philippa Rath OSB"


Eine Einordnung der Zusendungen durch die Herausgeberin Sr. Philippa OSB


"Welch eine Verschwendung von Charismen und Begabungen


Der nachösterliche Bericht vom wunderbaren Fischfang im See von Tiberias erscheint wie ein Paradigma für das vorliegende Buch. Zunächst spiegelt die Zahl 153 eine verblüffende Parallele (von 153 gefangenen Fischen) wider, denn es sind genau 153 Berufungs- und Lebenszeugnisse – 150 von Frauen und drei als Zeichen der Solidarität mit ihnen von Männern verfasst –, die hier gesammelt sind.
Bloßer Zufall? Nur eine unbedeutende Zahl? Oder vielleicht doch ein leises, aber deutliches Zeichen, dass der Heilige Geist – Redaktionsschluss für die Textsammlung war ausgerechnet an Pfingsten – hier seine Hand mit im Spiel hat?

Was wäre gewesen, wenn Petrus nicht den Mut gehabt hätte, auf Jesu Weisung hin das Netz noch einmal auszuwerfen, diesmal auf der rechten Seite? Er wäre leer ausgegangen und vermutlich mutlos und resigniert von dannen gezogen. So aber bringt er einen überreichen Fang mit an Land, dieser Petrus, der Menschenfischer. Wie wäre es, wenn wir, wenn unsere Kirche, sich noch einmal auf einer ganz anderen Ebene von dieser Erfahrung des Petrus inspirieren lassen würde? Wie wäre es, wenn auch wir heute die Netze einmal in unbekannten Gewässern auswerfen würden, dort, wo allzu viele keinerlei Fang erwarten? Zum Beispiel bei den Frauen in der Kirche?

Dass aus ursprünglich 12 erwarteten Lebens- und Berufungszeugnissen innerhalb von nur fünf Wochen 150 wurden, hat mich überwältigt. So ist die Idee zu diesem Buch entstanden.

Was können diese authentischen und zutiefst berührenden Texte uns lehren?

Viel zu lang wurden die Frauen mundtot gemacht in der Kirche. Gehört werden, die eigene Berufung zur Sprache bringen können, die eigenen geistlichen Kompetenzen einbringen zu können, das war und ist für viele Frauen bis heute ein unerfüllter Wunsch. Oder wie es eine der Frauen so treffend ausdrückt: „Bleiben in dieser Kirche bedeutet für mich: aushalten, dass sie meine Berufung und die vieler anderer Frauen nicht wahrhaben, noch nicht einmal prüfen will, weil nicht sein kann, was nicht sein darf.“

Die Bandbreite der Texte – ihre Fülle und Breite aus dem gesamten deutschsprachigen Raum, aus nord-, west-, ost- und süddeutschen Diözesen und vier Generationen umspannend – ist beeindruckend. Bei aller Vielfalt gibt es bestimmte Grundkonstanten, die an mehreren Stellen wiederkehren und in denen sich viele Leserinnen wiederfinden werden. Vor allem aber zeichnen die Zeugnisse das erschütternde Bild einer ungeheuren Ressourcen- und Charismen-Verschwendung, die sich seit Jahrzehnten in der Kirche ereignet hat und immer weiter ereignet. Wie oben bereits gesagt: Die Gewässer sind voll, nur werden die Netze offenbar noch immer an der falschen Seite ausgeworfen. Oder, wie eine der Frauen schreibt: „Den Begriff der verlorenen Generation/Generationen weite ich auf die Frauen unserer Kirche aus, auf die ab 1950 geborenen, gut ausgebildet, voller Engagement, Mut und Hoffnung, die ihre religiösen, intellektuellen und sozialen Talente in ihre Gemeinden einbringen wollten, in ihrem Wirken aber nur bedingt Anerkennung fanden und entmutigt wurden. Das sind rückblickend schon drei Generationen von Frauen, die für das Priesteramt verloren sind, deren tröstende Hände an Krankenbetten fehlten, deren Gebete, gute Predigten und Segnungen ihren von Gott bestimmten Gemeinden vorenthalten wurden.“

Der Schmerz und der Leidensdruck vieler Frauen ist groß. Eine von ihnen schreibt: „Ich merke, dass es krank ist und krank macht, wenn Lebensmöglichkeiten, ja Berufung, nicht gelebt werden kann.“ Viele leiden im Stillen, haben sich irgendwie arrangiert oder aber auch resigniert; manche haben im benachbarten Ausland, vor allem in der Schweiz, ihre Berufung leben und mehr Entfaltungsmöglichkeiten finden können; wieder andere haben sich nach langem inneren Ringen entschieden, die katholische Kirche zu verlassen, und in der alt-katholischen oder evangelischen Kirche ihren Platz gefunden; eine kleine Gruppe schließlich ist den Weg der „Weihe contra legem“ gegangen, hat für ihre Berufung die Exkommunikation auf sich genommen und leidet bis heute schwer unter diesem Ausschluss. Es ist leider wohl auch kein Zufall, dass 26 der 150 Lebenszeugnisse in diesem Buch mit „Anon.“ gezeichnet sind. All diese Frauen sehen sich gezwungen, unerkannt zu bleiben, weil sie um ihren Arbeitsplatz oder ihr Ansehen in der Gemeinde fürchten. Die meisten von ihnen arbeiten in Diensten der Kirche. Sie haben Angst vor Repressionen, vor Mobbing und Ausgrenzung. Auch das eine traurige Wirklichkeit in unserer Kirche.

Die Texte dieses Buches sind exemplarisch – sie stehen als Teil für das Ganze. Sie sind vielfältig, auch widersprüchlich, im besten Sinne katholisch, allumfassend und universal. Die Erfahrungen der Frauen sind nicht lokal oder regional, sondern stammen aus zahlreichen Ortskirchen. Ihr theologischer Ansatz ist nicht uniform, es kommen unterschiedliche Aspekte eines Amts- und Priesterverständnisses zum Ausdruck, verschiedene theologische Meinungen und Schulen, ganz unterschiedliche Modelle einer Kirche von morgen. Allen gemeinsam aber ist das Fundament auf der Heiligen Schrift, das Ernstnehmen und ein großer Respekt vor der Tradition, Kultur und Geschichte der katholischen Kirche und ein klares Bekenntnis zu den Lehren des Zweiten Vatikanischen Konzils. Viele Beiträge atmen einen zutiefst ökumenischen Geist und ausnahmslos allen geht es um einen pastoralen Ansatz und eine pastorale Zukunftsperspektive.

Die Fülle der geschilderten Erfahrungen sind ein ernster, unüberhörbarer, theologisch gut begründeter Appell zu einem Neudenken von Kirche und einer Änderung des Amtsverständnisses. Wie Kirche ist, wie sie sein sollte und werden könnte, leuchtet an vielen Stellen auf. Wie auch der unüberhörbare Ruf, dem Geist zu vertrauen und unter seiner Führung gangbare Wege für eine Kirche des 21. Jahrhunderts zu finden. Die Zukunft ihrer Kirche liegt den Frauen am Herzen. Sie lieben ihre Kirche und leiden gleichzeitig an ihr. Sie möchten sie verantwortlich mitgestalten und vor allem in ihrer authentischen Berufung Anerkennung finden. Eine von ihnen schreibt: „Ich durfte die Kinder auf die Taufe und Erstkommunion vorbereiten, aber nicht selbst taufen und bei der Erstkommunionfeier nur Statistin sein. Ich durfte die Krankenkommunion zu den Menschen bringen, aber den Wunsch der alten Frau, bei mir die Beichte abzulegen, weil es sich von Frau zu Frau leichter sprechen ließe, musste ich abschlagen. Später in der Altenseelsorge habe ich die Menschen beim Sterben begleitet, aber ich durfte bei der Krankensalbung nur dem fremden Priester den Weg weisen, der im Eilschritt von Zimmer zu Zimmer hetzte. Ich habe gerne in Gottesdiensten zu den Menschen gesprochen und oft erlebt, wie die Worte von Gottes Zuwendung und Barmherzigkeit aus meinem Herzen quollen und die Menschen erreichten – aber sonntags predigen durfte ich nicht. Ich konnte besser leiten als mancher Vorgesetzter, aber die Leitungsfunktion oblag dem Priester.“

Viele der Lebens- und Berufungszeugnisse in diesem Buch deuten darauf hin, dass in der Breite der katholischen Gemeinden im deutschsprachigen Raum nicht nur ein Akzeptieren von geweihten Frauen möglich, sondern dies geradezu ein Desiderat ist. Dabei geht es den Gläubigen keineswegs um eine bloße „Anpassung an den Zeitgeist“, sondern um ehrliche Glaubensüberzeugungen, um gewonnene theologische Erkenntnisse und vor allem um konkrete geisterfüllte Erfahrungen mit engagierten Frauen in der Kirche, die heute bereits „diakonisch“ und „priesterlich“ wirken. Zu fragen wäre, ob dieser sensus fidelium (Glaubenssinn) heutiger Christinnen und Christen nicht wachsamer gehört, deutlicher zur Kenntnis genommen und mutiger in die Tat umgesetzt werden müsste. Nicht selten in der Geschichte der Kirche hat die vox populi schließlich heilige Frauen schon zu Zeiten anerkannt und verehrt, als diese von der Amtskirche noch lange ausgegrenzt und ignoriert wurden.

Die 150 Texte dieses Buches spiegeln wie in einem Brennglas – vergleichbar den 150 Psalmen des Alten Testaments – die Heilsgeschichte Gottes mit den Menschen in all ihren Höhen und Tiefen wider. Dass den Lebenszeugnissen der Frauen noch drei Texte von Männern hinzugefügt sind, hat eher symbolischen Charakter. Die Herausgeberin erreichte eine Vielzahl von Zuschriften von Männern – Klerikern und Laien –, die ausdrücklich ihre Solidarität mit den Frauen bekunden wollten und sich für die gleichberechtigte Teilhabe der Frauen an allen Weiheämtern der Kirche engagieren. Ihre Stimmen sollten in diesem Buch wenigstens ansatzweise Gehör finden. Alles andere würde den Rahmen des Projektes sprengen. Wir danken den Autoren für ihren Zuspruch und ihre ermutigenden Statements.

An dieser Stelle ist es Zeit, den 150 Autorinnen dieses Buches selbst zu danken. Sie haben sich ansprechen lassen durch den Aufruf, ihr Lebens- und Berufungszeugnis aufzuschreiben, und sind diesem leidenschaftlich gefolgt. Viele haben meine (Mail-)Anfrage an andere weitergeleitet, so dass eine ganze Bewegung in Gang kam, die dieses Buch erst möglich machte. Mich haben die Texte tief beeindruckt und bewegt. Sie haben mir neue Blickwinkel und Perspektiven eröffnet und mich in meinem Engagement für die Frauen und für mehr Geschlechtergerechtigkeit in der Kirche bestärkt. Sie haben mir gezeigt, dass es sich lohnt zu kämpfen – auch dann, wenn vielleicht erst die kommenden Generationen die Früchte unseres Engagements ernten können. Diese oder ähnliche Erfahrungen wünsche ich auch allen Leserinnen und Lesern dieses Buches.

Abtei St. Hildegard am Fest der heiligen Hildegard,

dem 17. September 2020

Sr. Philippa Rath OSB"

Verzeichnis der 150 (ungelebten) Berufungsgeschichten und ihrer Autorinnen


Sätze aus dem Leben von vier Frauen

Nachfolgend finden Sie in einer Diashow Sätze aus den Biografien von vier Frauen, die in dem Buch von Sr. Philippa Rath über sich und ihr Leben berichten und ihre Empfindungen, Wahrnehmungen und Schlussfolgerungen schildern.

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